Über Yoga gibt es viel zu sagen - über die Atmung, die Körperübungen und die Philosophie. Bleiben wir für den Moment grad einmal bei der Philosophie, die vom östlichen Gedankengut geprägt ist - einem Gedankengut, welches auf den ersten Blick doch recht stark von unserer westlichen Kultur abweicht. Wenn wir die Entwicklungsgeschichte und Tradition des Yoga vom Standpunkt des westlichen Denkens aus betrachten und unsere Wertvorstellungen als Massstab nehmen, mag man sich fragen:
Ist es überhaupt sinnvoll, hier im Westen, sich mit Yoga zu beschäftigen?
Wird man nicht weltfremd und verliert den Bezug zur Realität, wenn man den "Yogapfad" beschreitet? Die Antwort auf diese Frage ist klar: Wir alle sind hier auf dieser Erde, um uns zu entwickeln. Jeder Mensch entwickelt sich während seines Lebens fortwährend, auch wenn er es gar nicht bemerkt, sei dies durch seine Arbeit, durch Erfahrungen, Krankheit, Leid oder durch Lebenskrisen. Dies galt und gilt für jeden Menschen auf dieser Erde, zu jeder Zeit.
Diese Entwicklung kann man wohl als unbewusste und deshalb langsame Entwicklung bezeichnen
Yoga hingegen bedeutet die bewusste und deshalb beschleunigte Entwicklung
Für diese Entwicklung ist Gesundheit die wichtigste Voraussetzung. Yoga hilft uns, einen gesunden Körper aufzubauen und zu erhalten. Die innere und äussere Entwicklung gehen immer Hand in Hand - übrigens nicht nur im Yoga.
Während der Yoga-Übungen gehe ich bewusst in meinen Körper hinein und entwickle dabei Körperbewusstsein. Ich spüre meinen Körper und finde mehr und mehr Zugang zu den verschiedenen Kräften in mir.
Dieses "Erspüren" bedeutet auch wachsendes Selbst-Bewusstsein. Ich "entdecke mich selbst" - werde mir meiner selbst bewusst. So steigere ich durch Yoga meine Willenskraft, Widerstandskraft, Nervenkraft und Mentalkraft.
Auf diese Weise wird jeder, der bewusst Yoga übt, im Laufe der Zeit zum "Meister seines Lebens",
da er lernt, alle Kräfte mit Ruhe zu beherrschen und erhöhte Spannungen besser zu bewältigen.
Wir haben schon darüber gesprochen, was Yoga ist und welche wohltuenden Wirkungen wir durch Yoga erfahren können, nämlich unsere Konzentration verbessern, Gesundheit fördern und zu mehr Gelassenheit und Ruhe finden.
Durch die achtsame Yogapraxis finden wir je länger je mehr Zugang zu unserer wahren Natur, die sich deutlich von der Person unterscheidet, die wir bis jetzt meinten, wenn wir „Ich“ sagten.
Nun möchte ich etwas tiefer darauf eingehen, was das Wort "Yoga" bedeutet, was es alles beinhaltet.
Das Sanskritwort "Yoga" heisst in der Übersetzung "Anschirren", was wir mit den Begriffen "Vereinigen" und "Verknüpfen" gleichsetzen. "Yoga" bedeutet auch "Joch". Eine oft zitierte Erklärung lautet deshalb auch "Vereinigung mit dem geistigen Selbst", "Beherrschung des Körpers" und "Körperliche Kräfte und Funktionen unter das Joch seines eigenen Willens bringen". Es gibt noch einige weitere Wortbedeutungen, welche sich auf Achtsamkeit, die Yogapraxis und die Wirkung jeder bewusst ausgeführten Handlung beziehen. Die wohl gebräuchlichste Erklärung ist
Zusammenbringen, Verknüpfen
"Verknüpfen" bedeutet, Körper, Seele und Geist zusammenzubringen, eins werden mit der innersten Ursache. Aber auch die positiven und negativen Lebensströme in unserem Körper in Harmonie bringen.
Den Geist bündeln - Aufmerksamkeit im Handeln
Diese Bedeutung des Wortes meint: Mit ganzer Aufmerksamkeit bei dem sein, was wir tun.Das heisst:
Während den Übungen ... Die ungeteilte Konzentration auf die Atmung, die Bewegung und den entsprechenden Körperbereich richten.
Während des Tages ... Achtsam und "präsent" sein. In jedem Moment, bei jeder Handlung, sich ganz auf das konzentrieren, was wir jetzt grad tun.
Etwas erreichen, was bisher unerreichbar war
Diese Definition sagt: Immer, wenn wir durch gesammelte Konzentration und durch fortgesetztes Üben etwas erreichen, was uns vorher nicht gelang, ist dies Yoga – in allen Lebensbereichen, nicht nur bei den Körperübungen.
Es gibt noch zwei weitere, wichtige, Kriterien in Bezug auf die Yoga-Praxis:
1. Jede Übung soll von einer gewissen Leichtigkeit begleitet sein
2. Jede Übung soll mit gesammelten Konzentration ausgeführt werden
Damit ist klar ausgedrückt, was "Yoga" meint: Wir sollen uns bei dem, was wir tun, wohl fühlen – angefangen bei der Sitzhaltung, bis hin zu anspruchsvolleren Positionen. Und "Bewusstes Handeln" – sowohl beim Atem, wie auch bei der Konzentration auf eine bestimmte Übung.
Wenn diese beiden Kriterien fehlen, sind unsere Übungen kein Yoga, sondern einfach Gymnastik.
Die Leichtigkeit, eine Position zu halten und die gesammelte Aufmerksamkeit machen die Übungen zu Yoga.
Kommen wir nun zu einem weiteren Begriff, der in unserem Verständnis untrennbar mit Yoga verbunden ist, wenn wir diese Atem- und Körperübungen praktizieren: "Hatha-Yoga"
Die Yoga-Übungen, die wir machen, nennt man Hatha-Yoga. Der Name "Hatha-Yoga" bezieht sich auf die positiven und negativen Lebensströme, welche unseren Körper beleben. Wenn sich diese Strömungen in absolutem Gleichgewicht befinden, dann erfreuen wir uns vollkommener Gesundheit. Die Bezeichnungen "positiv" und "negativ" sind nicht in dem wertenden Sinn gemeint, wie wir diese Begriffen oft verstehen. Die positive Kraft in der Schöpfung ist die nach aussen gerichtete, aktive, gebende, männliche Kraft. Die negative Kraft ist die passive, nach innen orientierte, aufnehmende, weibliche Kraft.
Auf diesen beiden, sich ergänzenden, Kräften ist die ganze Schöpfung aufgebaut.
In der Ursprache des Ostens wird
die positive Strömung mit den Buchstaben "HA" bezeichnet, was soviel bedeutet wie "Sonne",
die negative Strömung wird mit "THA" bezeichnet, was soviel heisst wie "Mond".
Dazu kommt das Wort Yoga mit seinem doppelten Sinn "Verknüpfung" und "Joch".
Hatha-Yoga bedeutet demnach die Verknüpfung dieser positiven und negativen Energie in vollkommener Harmonie und die Fähigkeit, über diese zu herrschen, das meint, diese Energien unter das Joch unseres ICH zu bringen.
Dieses tiefere Verständnis zeigt uns, dass Yoga viel mehr ist als die Atem- und Körperübungen, die wir bisher „Yoga“ nannten. Je achtsamer wir üben, je mehr wir uns auf dieses „bewusste Tun“ einlassen, umso mehr fühlen wir, wie Yoga tatsächlich zu einer ganz besonderen Lebenshaltung wird. Das bewusste Handeln in jedem Moment ist Yoga.
Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet soll unser tägliches Leben „Yoga“ sein.
Yoga, im Alltag gelebt und praktiziert, ist eine echte Bereicherung und Lebenshilfe. Bewusstes Handeln, "mit ganzer Aufmerksamkeit bei einer Sache sein", hilft uns, unser tägliches Leben besser und bewusster zu gestalten. Wird uns dies erst zur Gewohnheit, entwickeln wir zunehmend innere Sicherheit, Festigkeit und eine unerschütterliche Gelassenheit ... Eigenschaften, die unser Dasein in jeder Lebenslage erleichtern.
In der täglichen Yogapraxis und darüber hinaus im "gelebten Yoga" treffen sich die beiden Welten und Mentalitäten: Die östliche Welt und ihre Philosophie und die westliche Welt mit ihrer Weltanschauung.
Fühlen trifft Denken
Kontemplation trifft Konzentration
und findet Vereinigung in Meditation
Es treffen sich die östliche Welt - der Mensch mit seinen nach innen gerichteten Sinnen und dem nach spiritueller Erkenntnis und geistigen Werten ausgerichteten Streben. Und die westliche Welt - der praktisch veranlagte Mensch mit seinem realistischen Denken und klaren Verstand.
Die Werte der westlichen Welt sind messbare Ergebnisse, sichtbare Erfolge und materielle Errungenschaften.
Vereinigung im Sinn von Yoga kann hier somit auch bedeuten: Mit praktischem Sinn und bodenständigem Verstand die äussere mit der inneren Welt zu vereinen. Vereinigung der "Form" - des Körpers mit seiner Beschaffenheit mit dem "Inhalt", dem geistigen Wesen, welches in jedem Menschen die Grundlage und die innerste Ursache seines Daseins ist.
So schliesst sich der Kreis unserer Frage nach dem Sinn von Yoga für den westliche Menschen ...
Haben Sie Lust darauf, mehr über Yoga zu erfahren?